Der Absprung von den Kanaren

Wir haben es geschafft, uns von den Kanarischen Inseln frei zu segeln. So schön die Inseln sind und so gut es uns da gefällt – am Ende war es dann doch etwas zäh. Wir hatten schon seit Anfang Mai beobachtet, wann und wie wir am besten Richtung Madeira und Azoren kommen. Das war dann von den westlichen Kanaren eher ungünstig und so hatten wir uns auf den Weg nach Lanzarote gemacht. Zwischenstopp auf Teneriffa wegen Flaute, Corona und dann noch eine kurzfristig eingeschobene Reise von mir nach Deutschland für eine Zahn OP haben dazu geführt, dass wir erst Anfang Juni von Lanzarote aus losgekommen sind.

Die Woche in Norddeutschland war aber eine sehr schöne Zeit. Sprühregen bei 15°C ist sehr erfrischend, wenn man von Lanzarote kommt. In Bremen steht der Rhododendron Park in voller Blüte und die Wanderungen durch Hamburg und auf Sylt so ohne Höhenmeter und ohne Schwitzen waren auch mal eine schöne Abwechslung. Und dem Zahn geht’s jetzt wieder gut.

Jetzt sind wir auf Madeira und wir hatten ziemlich gute Bedingungen für die Fahrt. Die Prognose war Nord-Ost Wind mit 15 bis 18 Knoten (3 bis 4 Windstärken) und damit ein Am-Wind-Kurs mit einem Einfallwinkel von etwa 50°. Das kann unser Langkieler noch ganz gut in Geschwindigkeit umsetzen. Wenn wir mehr Höhe, also weniger Grad Einfallwinkel segeln, dann wird das sehr zäh bei Welle. Und Welle hat man auf dem Atlantik. Wir hatten nur 1,5 bis 2 Meter Welle, keine Kreuzsee und auch der Abstand der Wellen voneinander war OK. So sind wir dann ganz nach Planung gemütlich in zweieinhalb Tagen die 290 sm nach Funchal gesegelt.

Dass die Bedingungen gut sind heißt aber natürlich noch lange nicht, dass auf der Reise auch alles reibungslos läuft. Wir waren etwa 90 Meilen gesegelt und ich hatte mich grad nach meiner Wache hingelegt und war so am wegdösen, da ruft Jan mich von oben hoch. Die Halterung für den Windgenerator war gebrochen. Jan hatte das zum Glück rechtzeitig bemerkt und hing jetzt hinten am Heckkorb und hielt das Trumm an der Stange fest, so dass es nicht nach hinten wegklappen konnte.

Jetzt musste das irgendwie gefixt werden. Schnell Klamotten, Schuhe und Schwimmweste anziehen, wobei schnell bei Seegang immer so eine Sache ist. Wir haben die Stange dann mit Gurten am Heckkorb fixiert und die gebrochene Halterung durch eine Abspannung ersetzt. Das lief soweit alles recht speditiv und ich konnte mich wieder hinlegen.

Stabiles Provisorium

Der Wind drehte auf der Reise immer ein wenig in die ein oder andere Richtung und wir waren gespannt, ob er uns wohl gesonnen ist und wir die Islas Selvagem , unbewohnte Inseln, die in der Mitte zwischen den Kanaren und Madeira liegen, ohne einen Kreuzschlag passieren konnten. Es kam gut und wir sind bequem in einem weiten Bogen an den Inseln vorbeimäandert.

Sicherer Abstand

Dann aber, am Morgen des zweiten Tages, ich lag gerade nach der Wache mal wieder in der Koje –Alarm. Ein Sensor, der den Wasserstand in der Bilge (alles was unter den Bodenbrettern des Schiffs ist) misst, meldete sich lautstark. Jetzt mussten wir erstmal schauen, welcher der Sensoren Wasser meldet und dann nach der Ursache forschen. Der Ort war mit der Vorschiffsbilge schnell ausgemacht. Geschmacksprobe – Salzwasser. Schlecht. Da vorne ist der Loggegeber verbaut, ein Rädchen, das die Geschwindigkeit des Schiffs durch das Waser misst. Dafür gibt es im Rumpf einen Durchbruch und an solchen Stellen kann es ja immer sein, dass etwas undicht geworden ist. Der Loggegeber war schon mal Anfang der Reise ein Grund, warum wir in Cherbourg ungeplant schnell dem Wasser gekrant werden mussten. Und bei meiner Unterwasser-Putz-Aktion auf Lanzarote hatte ich da natürlich auch Bewuchs mit der Bürste entfernt. Dabei hätte sich ja etwas lösen können.

Aber der Loggegeber war es nicht. Es stand Wasser im Kettenkasten und war bei Lage übergelaufen und in die Bilge gelaufen. Jetzt muss man verstehen, wieso das bei unserem Schiff passieren kann. Im Kettenkasten ist die 80 Meter lange Ankerkette untergebracht. Der Kettenkasten ist vorne im Schiff unter der Vorschiffskoje. Durch die Vorschiffskoje läuft ein Rohr, durch das die Kette aus dem Kasten heraus zum Anker führt, der vorne am Bug des Schiffs befestigt ist. Am Ende des Rohrs ist nun natürlich ein Durchbruch an Deck, also ein Loch, aus dem die Kette kommt. Nicht groß und auch durch eine Plane abgedeckt, aber trotzdem kommt da Wasser rein, und es kommt eben eher besonders viel Wasser, wenn man wie wir nun am Wind segelt, weil dann der Bug immer wieder eintaucht.

Bei den meisten Schiffen ist der Kettenkasten selbstlenzend, das heißt, das Wasser fließt selbständig wieder ab. So nicht bei uns. Wir haben dort einen Schlauch, am Ende mit einer Saftklemme und man muss das Wasser eben ab und zu mal ablassen. Beim Ankern macht man das auch regelmäßig, aber beim Segeln haben wir einfach nicht daran gedacht und dann ist der ganze Kram übergelaufen. So mussten wir dann unterwegs etliche Liter dort abschöpfen. Am Ende waren wir dann aber beruhigt und konnten die Fahrt unbeschwert fortsetzen.

Das ging dann soweit auch gut, bis wir ein wenig mehr Wind bekamen und das große Vorsegel, den Yankee reffen wollten. Dabei ist leider die Automatikgleitsichtbrille von Jan über Bord gegangen und ne Dicke Lippe hat er anschließend auch gehabt. Um ein Vorsegel zu reffen, muss man die Schoten (die Leinen mit denen es stramm gehalten wird) lösen. Dann ist weniger Druck im Segel und man kann es über eine Reffleine einrollen. Dabei liegt die Schot aber nicht brav an Deck oder baumelt gelassen in der Luft, sondern sie knallt mit enormer Wucht hin und her.

Bei uns funktioniert das alles händisch, das heißt, man zieht einfach an der Reffleine ohne weitere Unterstützung. Das geht nur bedingt gut, so dass bei mehr Wind wir immer beide ziehen. Jan aus dem Cockpit heraus zieht die Leine zu sich ran und ich hole sie hinten dann dicht und belege sie wieder auf der Klampe. Das geht so in 20 bis 30 cm Schritten, was echt mühsam ist. Nun war die Schot vielleicht ein wenig zu viel gelöst, auf alle Fälle knallte sie Jan ins Gesicht, schlug die Brille von der Nase und die Lippe blau. Und man kann wirklich von Glück sagen, dass nicht mehr passiert ist und wir das Segel dann doch schließlich adäquat gerefft hatten. Ich weiß nicht, wie ich mit einer massiven Gesichtsverletzung bei Jan fertig geworden wäre.

Wenn es ganz dicke kommt und das händische Reffen nicht mehr funktioniert, können wir auch eine der großen Schotwinschen in der Plicht zum Reffen des Yankees missbrauchen. Je nachdem welche Winschen frei sind, kann es aber bedeuten, dass die Reffleine quer durch das Cockpit läuft. Also gibt es immer noch einen Plan B, wenn das händische Einholen gar nicht mehr geht. Optimal ist aber beides nicht.

Mehr Zwischenfälle gab es dann nicht und wir sind im weiteren Verlauf gut durchgekommen und bekamen vor Madeira nochmal eine kleine Düse, weil der Wind um die Insel herumgeleitet wird und sich dabei dann noch mal ein wenig beschleunigt. Und dann sind wir bei Sonnenuntergang in die Flaute im Schutz der Insel gekommen und sind die letzten 15 Meilen nach Funchal unter Motor gefahren.

Bei Ankunft waren die Marineros noch da, sie hatten uns auf dem AIS schon gesehen und wir konnten um 23:30 dann auch gleich im Hafen festmachen. Also, wir hatten eine gute Überfahrt mit ein paar gut gegangenen und man muss es so sagen – vermeidbaren – Zwischenfällen, die uns wieder einiges gelehrt haben:

  • Windgenerator: tausche ein Ersatzteil aus, wenn Du es denn bereits hast und um eine Schwachstelle weißt. Die Halterung ist nämlich schon mal gebrochen und dann geschweißt worden. Aber das ist natürlich eine Schwachstelle und das Ersatzteil ist bereits an Bord. Das kann man dann ja austauschen, wenn es wieder bricht, aber das ist nicht klug, denn es bricht ja dann, wenn es belastet wird und genau dann will man sich damit nicht auseinandersetzten. Also – tausche es im Hafen.
    Nachtrag: die Halterung ist mittlerweile getauscht. Bei der alten hat die Schweissnaht gehalten, der Bruch entstand an einer anderen Stelle. Hoffen wir mal, dass das neue Teil besser hält.
  • Kettenkasten: regelmäßiges Monitoring, ob Wasser im Kasten ist. Klingt banal, aber es gibt ja schon sehr viel was man immer warten, überwachen, testen muss und dabei war uns der einfach nicht gegenwärtig.
  • Yankee: Ich beschwer mich wo und bei wem ich nur kann über die Unhandhabbarkeit dieses Segels und jetzt hat auch endlich Jan ein Einsehen, was über „Das muss man dann eben rechtzeitig reffen“ hinausgeht. Wir kriegen jetzt wahrscheinlich eine kleine Winsch, über die wir die Reffleine dann einholen können.

Auf Madeira angekommen, hatten wir erstmal einiges zu tun. Die übliche Entsalzungsaktion des Schiffs an Deck. Es ist erstaunlich, was für einen Salzschleim drei Tage Segeln überall hinterlassen können. Dann hatten wir dieses Mal ja aber noch die Entsalzung der Bilge und der ganzen Matratzen im Vorschiff auf der Agenda. Also alles Abziehen, raus an die Luft, Bezüge waschen und vor allem die Bilge mit viel Süßwasser von vorne bis hinten nachspülen.

Dafür mussten alle Bodenbretter hoch, das ganze Staugut, was unter den Brettern verwahrt ist rausgeholt (Farbtöpfe, Ersatzteile, viele Sauerkrautdosen!, Marmelade, Tomatenmark…). Also, wir hatten zwei Tage Baustelle, bis das alles geräumt, getrocknet und wieder zusammengebaut war.

Alles leer
und wieder eingeräumt

Und jetzt genießen wir Madeira.

8 Antworten auf „Der Absprung von den Kanaren“

  1. Hi ihr 2
    Ich sehe jetzt noch euren Schweiß auf der Stirn…..ganz schön was zu tun.
    Aber gut, dass man immer wieder Neues dazulernt u besser machen kann.
    Genießt eure Zeit.
    Liebe Grüße
    Sabine
    Ps: schön dass meine Vorschiffsmatratze wieder trocken ist…der nächste Besuch wird kommen 😉

  2. Liebe Petra & Jan,
    Was für ein eindrucksvoll beschriebenes Erlebnis von diesem Abschnitt! Ich kann mich Sabine nur anschließen, schön dass alles wieder trocken ist, und salzfrei. Wir hatten ja nur 12 Stunden auf See, aber das Salz war echt überall danach…
    Ich finde es auch sehr spannend zu hören, wie Ihr selbst Eure Lernkurve nehmt. Denn der Atlantik ist nicht das Mittelmeer und nein, man hat eben nicht immer an alles! Gedacht… auch die Dinge, die man noch gar nicht erlebt hat. Drum ist’s gut, dass Ihr ein gutes Team seid, ihr euch aufeinander verlassen könnt und eine Sprache sprecht!!! Wir wünschen Euch viel Spaß auf Madeira, findet die schönen Wanderstrecken und lasst es Euch gut gehen. Liebe Grüße, Reinhart und Alex

  3. Was für ein Abenteuer!!!
    Unser Segelvokabular wächst stetig mit euren Berichten.
    Bei uns in Bayern ist heute Feiertag, der Wind frischt jetzt am Abend leicht auf, der Sonnenschirm wird gleich gerefft. Norberts Bordküche biete heute Abend Vgetarisches, da kein Fisch angebissen hat. Geniesst den Wein auf Madeira und das Leben.
    Liebe Grüße Doro und Norbert

    1. Mit gerefftem Sonnenschirm kann ja nichts schiefgehen.
      Petra ist auch gerade an einem vegetarischen Experiment, das bei Gelingen im Blog dokumentiert wird.
      Liebe Grüße Petra und Jan

  4. Uiuiuiuiui jui jui… spannender Bericht! Habe mich mitgegruselt … und vor allem mitgefreut, als alles dann wieder gut im Griff und Leinen wie Lehren gezogen waren.
    Nun erholt euch!
    Herzliche Grüße aus dem ruhigen Ostholstein,
    eure liddelsista

    1. Hallo Harald, einen echten Ankerkasten haben wir gar nicht. Die Kette liegt unter den Vorschiffkojen und unter der Wasserlinie. Einen echten Ankerkasten könnte man sicher einbauen, aber das wäre ziemlich aufwändig (Vorschiffkojen verkürzen, Loch ins Deck sägen und Deckel einbauen, …). Wenn mal ein Refit des Decks ansteht, werden wir uns das überlegen. Liebe Grüße Jan

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert