Die zwei Seiten von Panama

Die Fahrt von Kolumbien nach Panama verlief zügig, angenehm und ereignislos. Mit Andrin als drittem Crewmitglied an Bord war die nächtliche Wachzeit mit vier Stunden überschaubar. Planmäßig mit dem Morgengrauen kam die panamaische Küste in Sicht. Unser Ziel war Puerto Obaldia ganz im Osten von Panama an der Grenze zu Kolumbien. Hier wollten wir einklarieren, was sich leider als problematisch erwies. Direkt vor Obaldia konnten wir nicht ankern, da eine ziemliche Welle in die Bucht stand, bei der wir nie ohne Blessuren ins Dinghy oder mit dem Dinghy an Land gekommen wären. Also weiter in die nächste Bucht, die ruhig und geschützt sein sollte. Von hier wollten wir uns mit einem Lancha (das sind die typischen Verkehrsmittel in der Gegend – lange offene Boote mit vielen Außenborder-PS) nach Obaldia bringen lassen.

Dank Andrins Sprachkenntnissen haben wir bald einen Anwohner gefunden, der uns für einen fairen Preis nach Obaldia gefahren hat. Die Fahrt war abenteuerlich. Die Welle ist nicht weniger geworden und die beiden jugendlichen Bootsführer sind mit Vollgas und Spaß über die Wellen geflogen. Die Landungen waren nicht immer bandscheibenfreundlich und manchmal mit beängstigender Schräglage. Aber wir haben es ohne Unfall geschafft.

Obaldia war ein seltsamer Ort. Im wahrsten Sinne des Wortes am Ende der Welt. Grenzbeamte, ein kleiner Militärstandort und ein paar Anwohner. Hier gibt es keine Straße, man kommt nur per Boot oder zu Fuß durch den Dschungel hin und wieder weg. Hier beginnt der sogenannte Darien Gap, ein unwegsames Urwaldgebiet von der Pazifik- bis zur Atlantikküste, durch das es keine einzige Straße gibt. Bekannt wurde diese Region durch die Flüchtlingsströme, die hier Richtung USA durchwandern und sich dabei vielerlei Gefahren aussetzen.

Ein erstes Zusammentreffen mit Flüchtlingen hatten wir bald. Von unserem Ankerplatz sahen wir eine Art überdachte Bushaltestelle, voll mit Menschen. Macht ohne Straße natürlich wenig Sinn. Beim genaueren Hinsehen stellten wir dann fest, dass es sich um eine Truppe chinesischer Flüchtlinge handelt, die vor dem Weitermarsch nach Norden einen Tag Pause gemacht haben.

Neben den Flüchtlingen gab es eine weitere Art von Reisegruppe in Obaldia. Vorwiegend junge Menschen lassen sich in den schon erwähnten offenen Lanchas in einer Mehrtagesreise von Kolumbien nach Panama bringen. Tagsüber geht es sehr nass in vollbesetzen Booten über die Wellen, abends wird irgendwo an Land angehalten,  Party gemacht und in Hängematten geschlafen. Der fünftägige Spaß kostet ca. 600$. In Obaldia müssen diese Reisegruppen offiziell in Panama ein- bzw. ausreisen. Deswegen hat das Immigration Office hier auch sehr gut funktioniert. In kurzer Zeit werden Fingerabdrücke genommen, ein Bild gemacht, der Pass gescannt und schon hat man seinen Pass im Stempel.

So schnell für uns die Immigration lief, so erfolglos war unsere Anmeldung bei der Autoridad Maritima. Zum einen wollte der Herr uns gleich gar nicht bearbeiten, da die Sutje nicht in „seiner“ Ankerbucht liegt, sondern für ihn nicht sichtbar in der nächsten Bucht. Dass man in „seiner“ Bucht nicht sicher liegen kann, war ihm ziemlich egal. Aber auch sonst hätte er uns sowieso nicht weiterhelfen können/wollen, denn das fürs Befahren der Panama-Gewässer notwendige Cruising Permit, das es früher in Obaldia gab, konnte man jetzt nur in Colon oder Panama City bekommen – oder für viel Geld über einen Agenten. Immerhin haben wir mit Andrins Übersetzungen verstanden, dass wir ohne Stress weiterfahren und den Behördenkram später abwickeln können. Das war ein erster interessanter Vorgeschmack auf die Administration in Panama, aber es sollte später noch interessanter werden.  

Von Obaldia ging es dann zur Isla de Pinios, wo wir uns mit Rita und Hartmut von der SY Kirke zum Essen treffen wollten. Die beiden kennen wir noch von unserem Ausgangshafen in Monnickendam, wo sie am selben Steg lagen, bevor sie ein paar Jahre vor uns auf große Fahrt gegangen sind. Hier auf der Isla de Pinios waren wir das erste Mal im Territorium von Guna Yala, einer von den indigenen Kuna bewohnten autonomen Region, die sich ihre Unabhängigkeit 1925 in einem blutigen Aufstand erkämpft haben.

Das Gebiet besteht aus ca. 200 Kilometern Küste und hunderten vorgelagerten Inseln, von denen die wenigsten bewohnt sind. Auch heute noch leben die Kuna sehr traditionell mit wenigen westlichen Errungenschaften, aber klaren Regeln für die Segler, die sich in ihrem Gebiet befinden. So muss man z.B. um Erlaubnis fragen, wenn man ein Kuna-Dorf besichtigten möchte. Nach Sonnenuntergang wollen die Kuna gerne wieder unter sich sein.

Auf der Isla haben wir Olo kennengelernt. Er betreibt ein sehr kleines Restaurant, das aus einer Hütte auf Stelzen im Wasser mit einem einzigen Tisch besteht. Essen muss man bei ihm vorbestellen. Er bringt es dann von seiner Hütte per Lancha in vielen Töpfen vorbei und nimmt auch gleich seine ganze Familie mit. Wir hatten sehr leckere Languste und gebratenen Fisch.

Am nächsten Tag hat Olo uns über die Insel geführt und uns sehr viele Einblicke in das Leben und die Kultur der Kuna gegeben. Angefangen hat die Führung bei seinem Restaurant, in dessen Nachbarschaft gerade sehr viele Hütten aus Ästen, Palmblättern und Bast gebaut werden. Diese Hütten werden während eines Festes genutzt, das nur alle paar Jahre stattfindet und bei dem sich alle Dorfbewohner einfinden müssen. Ziel des Festes ist, wie wir es verstanden haben, drei Tage lang gemeinsam Tabakpfeifen zu rauchen.   

Auch sonst versammelt man sich gerne. Mitten im Dorf steht das Congresso, eine große Hütte mit einigen Hängematten für die Häuptlinge und Sitzgelegenheiten für die anderen Dorfbewohner. Wenn eine Versammlung ansteht, zieht nachmittags der Häuptling los, klopft an alle Hütten und bestellt die Bewohner ein. Die Versammlungen scheinen nur selten organisatorischer Natur zu sein. Mehr trifft man sich, um den Häuptlingen beim Singen alter Lieder zuzuhören oder irgendwelche Zeremonien zu begehen.

Ein weiterer Grund für Versammlungen ist der Geburtstag von unlängst Verstorbenen. Hierzu bereiten die Hinterbliebenen ein Essen für die gesamte Dorfgemeinschaft vor, das am Grab eingenommen wird. Überhaupt sind die Gräber sehr nett. Sie befinden sich in kleinen Strohhütten und sind mit allerlei Grabbeigaben versehen, damit der Verstorbene sich wohl fühlt. Wir durften das Grab eines Kindes besuchen, das neben Essgeschirr mit verschiedenen Spielsachen ausgestattet war. Nach Kuna-Glaube besucht die Seele das Grab jeden Sonntag.

Abgesehen von Smartphones gibt es hier sehr wenige Konsumgüter. Während Männer und Kinder meist industriell hergestellte Kleidung haben, tragen viele Frauen sehr aufwändig selbst hergestellte bunte Oberteile mit sogenannter Mola-Stickerei. Neben dem Kassieren von Ankergebühren ist der Verkauf von Molas eine der wenigen Einnahmequellen für Geld.

Handel wird auch mit Kokosnüssen getrieben, die von kleinen kolumbianischen Frachtern in den einzlnen Orten eingeladen und dann nach Kolumbien verschifft werden. Daher ist es auch verboten, Kokosnüsse für den eigenen Verzehr zu sammeln. Vieles wird sonst geldlos untereinander getauscht. Man wohnt in einfachen Strohhütten oder einfach gemauerten Häusern. Verkehrsmittel an Land gibt es nicht, denn außer Trampelpfaden gibt es keine Wege. Zu Wasser bewegt man sich mit dem Einbaum, der gepaddelt oder gesegelt wird. 

Sehr nett ist, die Kuna auf dem Weg zur Arbeit zu sehen. Die meisten Dörfer befinden sich auf den Inseln, die sehr dicht besiedelt sind und weder Platz noch Süßwasser für Anbau von Obst und Gemüse haben. Das wächst auf dem Festland im Urwald, wo die Inselbewohner an Flüssen ihre Parzellen haben. Früh morgens geht es mit dem Einbaum flussauf zum Feld, am frühen Nachmittag mit beladenen Kanus zurück zur Insel.   

Beim Durchstreifen der Orte fallen uns zuerst die offenen und neugierigen Kinder auf. Kaum sind wir im Dorf, laufen die mutigsten auf uns zu und umarmen unsere Beine. Erwachsene sind deutlich zurückhaltender, grüßen aber fast immer freundlich zurück. Auffällig ist die Häufung von Albinos, vermutlich da man nur untereinander heiratet und keine Zugereisten zulässt. Als Fremder kann man daher keinen Eigentum erwerben, weswegen sich bisher glücklicherweise keinerlei Massentourismus mit großen Hotels etablieren konnte. 

Neben unserem ersten Stopp auf der Isla de Pinios haben wir vor vielen weiteren schönen Inseln oder interessanten Dörfern geankert. Insgesamt eine tolle Entschleunigung nach dem Großstadtbetrieb von Cartagena.

Da aber die Hurrican-Season so langsam näherkommt, mussten wir nach zwei Wochen weiterziehen und zurück in die Zivilisation. In Linton Bay auf dem Festland lagen wir ein paar Tage in der Marina, und hatten wieder Autos, Geschäfte, laute Musik und was sonst noch zu Mittelamerika gehört.

Hier wollten wir den Papierkram zum Einklarieren nachholen, den wir in Obaldia nicht erledigen konnten. Dem Büro der Autoridad Maritima in Linton Bay eilte der Ruf voraus, dass deren Mitarbeiter es mit Quittungen, Geldflüssen und Gebührenerhebungen etc. nicht ganz so genau nehmen. Das haben wir riskiert, um uns den Weg nach Colon zu sparen. Am Ende des Tages haben wir – wieder dank Andrins Sprachkenntnissen – die notwendigen Papiere für eine Ausreise aus Panama gegen eine Zahlung von 300US$ bekommen, bezweifeln aber, dass irgendetwas davon beim Staat angekommen ist. Zumindest gab es – wie erwartet – keine Quittung.

In der Linton Bay hat Andrin abgemustert, da er doch lieber Panama erkunden wollte als weiterzusegeln. Dafür haben wir für die nächste Passage Frank Oliver, einen Bekannten von Schwägerin Sabine, als Crewmitglied bekommen. Mit Frank Oliver wollten wir in fünf Tagen zu den Cayman Inseln segeln, wenn der Wind mitspielt.

5 Antworten auf „Die zwei Seiten von Panama“

  1. Heyo ihr Welterkundler, ihr erlebt und seht ja tolle Gegenden und Menschen. Und was für ein Wetter. Hier ist heute Calima brutale. Es ist so staubig, das wir den 2 km entfernten Berg nicht sehen.
    Wo kommen chinesische Flüchtlinge in Panama her ? Seltsame Welt. Macht es gut und Petra sieht toll aus in der Bluse. Reinhard

  2. Frohe Ostern übern Teich zu Euch! Herzlichen Dank für den interessanten Bericht; ich hab mich instantan in das Strandfoto verliebt.
    Chinesische Flüchtlinge ? Das ist ja mal ne krasse Route. Ich wünsche Euch weiterhin sooo viel Spaß und neue Eindrücke, und freue mich auf den nächsten Bericht!

  3. Vielen Dank für den spannenden Bericht- das Leben und die Kultur der Kuna sind ja wirklich faszinierend- alles sehr spannend! Weiterhin gute Fahrt und ich bin gespannt auf den nächsten Abschnitt!

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